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Teil 4: Wellen Wind und Wolken

Nachdem ich nach RATN wieder zu Hause war, wurde ich von vielen Leuten gefragt, wie man sich motiviert jeden Tag wieder aufs Rad zu steigen. Die Antwort auf diese Frage entwickelte sich an unserem dritten Tag. Wir wachten beide auf und ich stellte Maren die rhetorische Frage: „Was machen wir heute?“ Sie lächelte mich an und antwortete: „Wie wäre es mit einer kleinen Radtour?“ Genau mit diesem Dialog begann ab Tag 3 jeder weitere Tag. Wir motivierten uns also gegenseitig, zogen uns quasi an den eigenen Haaren aus dem Sumpf. Wer Maren kennt, sollte auch wissen, dass das mit ihren Haaren sehr gut funktionieren muss.

Wir wussten, dass der dritte Tag hart werden würde. Wir waren in den holländischen Alpen angekommen. Der Wind wehte aus Nordwesten, im Durchschnitt mit 30 kmh, mit Böen bis zu 50 kmh. Das entspricht Windstärke 4 und 6, also irgendwas zwischen mäßige Brise und starker Wind. Die ersten 115 Kilometer des Tages ging es gegen den Wind.

Da ich mir ein Fischrestaurant auf der Karte markiert hatte, wo ich unbedingt hin wollte, starteten wir erst relativ spät in den Tag. Das Restaurant lag nur etwa 40 Kilometer von unserem Hotel entfernt. Es öffnete um 9:30. Dort wollten wir Frühstück essen. Lecker Backfisch zum Frühstück: Was gibt es Besseres?

Noch bevor wir uns auf den Weg machten, reinigten wir die Ketten unserer Fahrräder und spendierten ihnen auch neues Öl. Wir hatten ja Zeit. Aber dann, gleich nach den ersten Metern, bekamen wir den Wind zu spüren. Mit nur knapp 22-23 kmh ging es in Richtung Fischrestaurant. Auch fuhren wir zum ersten Mal nicht mehr quatschend nebeneinander. Ich war ganz froh, dass wir bei unseren „Blind Trust“-Touren das Windschatten fahren geübt hatten. Hier nutzte es uns ungemein.

Ohne Unterhaltung war ich während der Fahrt mit meinen Gedanken allein. Die ersten 15 Minuten dachte ich noch an das Frühstück, aber kurz darauf war der Kopf einfach nur leer. Ich fing an, eines meiner Lieblingslieder in Gedanken zu singen. Immer und immer wieder. Eigentlich die kompletten 115 Kilometer lang. Danke Sven für dieses tolle Lied. Am Abend im Hotel habe ich es mir dann auch nicht nehmen lassen und das Video einmal geschaut.

https://www.youtube.com/watch?v=BI92ubg8TeY

Etwa auf halbem Weg zum Fischrestaurant bemerkte ich, dass wir zu schnell waren. Ich empfand es als sinnlos, dort unnötig Kräfte zu verpulvern, um dann vor dem verschlossenen Restaurant zu stehen. Also fuhren wir noch langsamer. Kurze Zeit später erreichten wir einen Aussichtspunkt auf dem Deich. Dort hielten wir, um Fotos zu machen. Ich konnte das Meer sehen. Ich war glücklich. Mega glücklich. Ich hätte zu dem Zeitpunkt an keinem anderen Ort der Welt sein wollen. Alles war perfekt.

Endlich das Meer sehen!

Kurze Zeit später erreichten wir unser Restaurant und stellten die Räder dort direkt auf die Terrasse. So früh am Morgen war ja sonst keiner da. Wir machten noch schnell ein Selfie in einem Strandkorb und gingen dann in das Restaurant.

Strandkorb-Selfie

Kleiner Einschub: Für uns beide heißt Team, das man versucht, möglichst alles auf dem unkompliziertesten Weg zu klären. So machten wir zum Beispiel in Pausen nie getrennte Kassen. Wir entschieden einfach aus dem Bauch heraus, wer mit bezahlen dran war, so das am Ende der Fahrt jeder in etwa die Hälfte bezahlt hatte. Ein netter Nebeneffekt davon: Wir sparten auch viel Zeit, da immer nur einer einkaufen musste.

Diesmal war ich jedenfalls mit Bezahlen und auch mit Aussuchen an der Reihe, während Maren bereits einen Tisch mit Sicht auf die Räder in Beschlag nahm. Ich bestellte mehrere frittierte Fischgerichte:
Schollenfilet, Kibbeling, Muscheln und dazu eine Portion Pommes. Ein perfektes Frühstück. Mit jedem weiteren Gericht, welches ich bestellte entgleiste das Gesicht des Kellners immer weiter. Er schaute jedes Mal nach hinten in die Küche. Wahrscheinlich um zu checken, ob die Fritteuse schon heiß war.

Das perfekte Frühstück

Als wir beim Essen waren, hielt auch unser gelber Motivationspunkt vom Vortag an dem Restaurant. Auch er bestellte sich ein warmes Frühstück mit frittiertem Fisch und Pommes. Er setzte sich zu uns an den Tisch und wir unterhielten uns kurz.

Der nächste Teil vom Track wurde dann etwas angenehmer. Es ging zwar immer noch gegen den Wind, aber dieser war nicht mehr ganz so stark, da wir direkt hinter dem Deich fuhren. Schneller waren wir aber trotzdem nicht. Wie auch in Ostfriesland waren auf dem Deich Schafe und wir mussten durch gefühlt 100 Schafstüren fahren. Also die Form von Gattern, die man meist nur schwer öffnen kann und wenn man sie loslässt sofort wieder zufallen. Und zwar so schnell, das ich immer Angst hatte mir das Teil direkt gegen das Hinterrad zu ballern.

Hinterm Deich ging es weiter

Ganz lustig waren allerdings die Schafe. Die kleinen Lämmer hatten vor uns Radfahrern Angst. Die Elterntiere dagegen waren durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Oft blieben sie auch einfach auf dem Weg sitzen. Im Nachhinein erfuhren wir, dass einer der Fahrer kurz vor Harlingen mit einem Schaf kollidiert war und sich dabei die Nase mehrfach brach. Uns passierte zum Glück nichts. Aber ich fragte auch fast jedes Schaf ganz nett, ob es uns vorbeilassen könnte. Auf ein „Määähhh“ von mir wurde immer mit mehreren „Määääähhhs“ von den Schafen geantwortet. Witzig.

Määähhh

Wenn ich mit meinen Gedanken alleine bin, komme ich oft auf sehr komische Dinge. Naja, eigentlich immer. Meine Frau kann da mittlerweile ein Lied von singen und Maren kennt das nun auch sehr gut. Jedenfalls wie ich so hinter Maren her fuhr, fiel mir auf das sie und die Schafe auf dem Deich wahrscheinlich zum gleichen Frisör gehen. Und da ich ein Trampel bin, sprach ich diesen Gedanken natürlich auch laut aus. Maren fand das zum Glück witzig.

Kurze Zeit später fing es an, ein klein wenig zu regnen. Wir konnten uns nicht entscheiden, ob wir die Regenjacken anziehen sollten oder nicht. Schlussendlich entschieden wir uns doch dafür. Wir nutzten den Moment dann auch gleich für eine kleine Pause. Direkt neben so einem Touristen-Info-Schild. Ganz verstanden hatte ich die holländische Infotafel nicht, aber ich glaubte, dass er eine verlängerte Version des bekannten Jakobsweges zeigte, der eben im holländischen Ort: „Sint Jacobiparochie“ startete. Aber auch egal: Wir scherzten beide und fragten uns, ob dies nicht ein Projekt für das nächste Jahr wäre.

Projekt für das nächste Jahr?

In Harlingen wollten wir schon wieder Pause machen. Nach dem ganzen Gegenwind hatten wir Bock auf ein Eis. Kurz davor gab es aber noch einen wichtigen Ortsschildsprint zu gewinnen. Zumindest für mich. Maren hatte das entweder nicht auf dem Plan oder keine Lust. Aber egal, ich wollte als erster in dem Zürich ohne Berge und ohne Ü-Striche ankommen. Auch wenn das nur ein kleines Dorf mit einem Hotel, 2 Restaurants und einem Nachtclub war. Für letzteres war es noch zu früh, also ging es weiter in Richtung Eis.

Zürich ohne Berge und ohne Ü-Striche

Dummerweise fanden wir in Harlingen dann keine Eisdiele. Wir entschieden uns dann einfach, ein Eis aus dem Supermarkt zu holen, denn vor dem Eingang stand ein Werbeschild: 4 Magnum für 3 Euro. Ich war wieder dran mit aussuchen und bezahlen. Ging dann also in den Laden und rief Maren noch zu: „Das kaufe ich aber nicht. Das ist zu viel für uns. Ich suche einzelne Eis.“ Quasi im Vorbeigehen verfing sich eine Packung Donuts und eine Packung geschnittene Mango in meinen Händen. Einzeln verpacktes Eis fand ich nicht. Auch nicht die Packung mit den 4 Magnum. Dafür aber eine Packung mit 6 Mini Magnum für nicht einmal 2 Euro. Also nahm ich die. Draußen durfte ich mir dann anhören: „Ach und 4 Eis waren zu viel?“ – „Klar, 6 sind doch viel besser.“ Das war dann ein Argument, gegen das Maren auch nichts mehr sagen konnte.

Nach Harlingen ging es auf die „kleine“ Umleitung. Eigentlich sollte es über den Abschlussdeich gehen, aber da dieser in den nächsten 3 Jahren erneuert wird und dadurch für Radfahrer gesperrt ist, entschied sich der Veranstalter für eine Umfahrung des Deiches. Mal eben locker um das IJssel- und das Markermeer. Schlappe 200km Umleitung. Heftig, aber auch wunderschön.

Wunderschön für uns: Der Track ging nun nicht mehr Richtung Westen, sondern nach Süden. Rückenwind. Viel Rückenwind. Wir fuhren wieder mit über 30kmh. Und wie sollte es anders sein: Genau auf diesem Abschnitt fuhren wir auf einen anderen RATN-Fahrer auf. Wir grüßten, erhielten aber nur eine mürrische Antwort. Im nächsten Ort, an dem wir für ein Foto hielten, überholte er uns wieder.

Als wir ihn dann wieder eingeholt hatten, versuchten wir nicht erneut ein Gespräch anzufangen. Maren setzte mit ordentlich Schwung an um ihn zu überholen. Ich setzte nochmal einen drauf und wir knallten mit knapp unter 40kmh an ihm vorbei. Einmal auf dicke Hose machen. Das fühlte sich gut an. Sehr gut sogar. Nachdem wir den ganzen Vormittag nur mit um 20kmh unterwegs waren, war das fast wie fliegen.

Kurze Zeit später drückte schon wieder eine Blase. Also suchten wir uns einen schönen Platz zum Pausieren. Wir fanden eine schöne kleine Brücke, auf der ich es mir sogleich bequem machte. Dort gab es dann die Mango und die Donuts. Das war für mich auch wieder einer dieser Momente, der ewig hätte andauern können. Und das war wohl in der Tat auch wirklich so, denn wir wurden von 3 RATN Fahrer überholt. Einzige Aktion unsererseits: Wir machten Fotos von ihnen.

Die Mango Pause

Als wir weiter fuhren trafen wir Christian Timmer, einen deutschen Teilnehmer. Er war angetan, sich mal wieder auf Deutsch mit jemandem unterhalten zu können. Wir kannten uns bereits vom Start wo wir uns auch schon etwas unterhielten und er von seinem Plan erzählt hatte, jeden Tag etwa 400km fahren zu wollen. Daher war gleich unsere erste Frage an ihn, warum er erst „hier“ war. Er erzählte uns dann, dass er gesundheitliche Probleme und auch auch Probleme mit dem Rad hatte. Seine Zeit verbrachte er beim Arzt bzw. beim Mechaniker. Uns leuchtete ein, dass man so keine 400km am Tag fahren kann.

Am IJsselmeer

Kurze Zeit später verließ er uns wieder. Er fuhr schneller als wir, wollte sein Glück versuchen und möglichst viel Strecke machen. Wir entschieden uns ein Hotel für die Nacht zu suchen und die Wahl fiel diesmal auf Lelystad. Außerdem gingen wir auch gleich in den nächsten Supermarkt und kauften für unser nun bereits obligatorisches Zimmerpicknick ein. Restaurant gab es nämlich wieder nicht.

Wir fuhren nun wieder am Deich. Jetzt allerdings auf der Wasserseite. Der Wind kam ebenfalls von der Seite. Das war dann leider nicht mehr ganz so angenehm. Außerdem konnten wir sehen, was für ein Wetter auf uns zukam. Regen. Genug davon um unsere Kleidung komplett zu wässern.

Am Horizont sah ich dann eine Brücke und erinnerte mich an unseren Familienurlaub, in dem ich schon einmal in Lelystad gewesen bin. Damals war ich mit dem Auto über den Damm zwischen IJsselmeer und Markermeer gefahren. Am Ende, kurz vor Lelystad kam dann eine Brücke. Ich ordnete die Brücke dann fälschlicherweise dem Damm zu und sagte Maren, dass wir es gleich geschafft haben. War dann allerdings nicht so. Wir mussten über diese Brücke.

Anschließend kam das wohl schwerste Teilstück des Tages. Es waren nur noch 15 Kilometer bis zum Hotel. Aber wenn man aufgrund des Gegenwindes nur 15kmh fahren kann, dann dauert das eben. Schlecht für den Kopf, vor allem, wenn dieser gedanklich bereits im Hotel war. Neben der Strecke standen im Wasser Windkraftanlagen. Vielleicht so 40 Stück. Ich begann sie zu zählen. Ganz langsam wurden es weniger. Ganz, ganz langsam.

Dazu kam auch noch, dass Maren einen weiteren WC Stop benötigte: 5km vor dem Hotel. Sie haderte lange: Anhalten? Weiterfahren? Doch anhalten? Der Druck wurde dann aber doch zu groß und wir hielten an. So mitten im Nichts. Nur Deich, Weg und Windräder. Nicht gerade der beste Ort für eine Frau, die gerade muss. Ich hielt ihr Rad und zählte die verbleibenden Windräder noch einmal durch. Es waren immer noch viel zu viele. Im Nachhinein war die Entscheidung anzuhalten aber wieder goldrichtig.

Endlich erreichten wir dann doch unser Hotel in Lelystad. Wir wollten nur noch schnell in unser Zimmer: Duschen, Essen, Bett wie immer. Wir hatten unseren Plan allerdings nicht mit der Besitzerin des Hotels gemacht. Sie war nämlich sehr gesprächig. Erklärung hier, Erklärung da. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis wir dann endlich in unserem Zimmer waren.

Dort gab es dann das nächste Problem. Das Zimmer war zwar schön warm, die Heizung an, aber trotzdem war sie kalt. Das war sehr schlecht für unsere vom Regen durchnässten Klamotten. Vor allem für meine Handschuhe. Es waren nämlich beide Paare nass. Da musste ich mir was einfallen lassen. Aber trotzdem ließen wir uns erst einmal das Zimmerpicknick schmecken.

Zimmerpicknick Nummer 3

Strava – Ich: https://www.strava.com/activities/2339254209

Strava – Maren: https://www.strava.com/activities/2339276125

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