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Teil 9: Das Gefühl im Augenblick, ich glaube das ist Glück

Ich entschied mich schnell für die Nachtfahrt. Den Beinen ging es gut. Ich war motiviert das Rennen zu Ende zu fahren und hatte auf Regen irgendwie so gar keine Lust. Zumindest nicht bei den Temperaturen. Bei einem warmen Sommerregen hätte ich sicher meinen Spaß gehabt. Aber bei 5-10 Grad mit durchnässten Sachen fahren ist nicht schön.

Maren tat sich mit der Entscheidung deutlich schwerer. In ihrem Kopf kreiste die noch viel zu große Kilometerzahl. Da ich mich quasi entschieden hatte, sagte ich ihr, dass sie nun unseren weiteren Weg festlegen müsse und dass ich, egal wie sie sich entscheiden würde, mitziehen würde. Unbeabsichtigterweise setzte ich sie damit noch mehr unter Druck. Sorry dafür, aber ehrlich gesagt sah ich auch keinen anderen Weg. Wir brauchten eine Lösung, die wir beide mittragen wollten.

Nach einigen stillen Minuten entschied sich Maren dann für die Nachtfahrt und wir schmiedeten einen Plan. Wir wollten uns unterwegs etwas Zusätzliches zum Anziehen kaufen, damit wir mit der erwarteten niedrigen Temperatur klar kommen würden. Außerdem wollten wir Lebensmittel einkaufen und in den Rucksäcken transportieren, denn es gibt in den Niederlanden keine Nachttankstellen. Und wir wollten uns die Zeit nehmen, um in einem Restaurant zu essen und dort gleichzeitig unsere Akkus laden.

Ein paar Kilometer später aber das nächste Malheur. Maren verlor eine ihrer Trinkflaschen und als sie sie wieder aufheben wollte, bemerkte sie, dass ihr Halter am Sattel gebrochen war. Zusätzlich zu den eh schon vorhandenen Zweifeln war das für Maren ein weiterer Schlag ins Gesicht. Ich versuchte die Situation so schnell wie möglich zu entschärfen. Ich packte eine meiner beiden Werkzeugboxen in den Rucksack. In den dann freien Flaschenhalter kam Marens Trinkflasche und den gebrochenen Halter band ich oben auf meiner Satteltasche fest. Es konnte weiter gehen. Im Wiegetritt konnte dann allerdings nur noch einer von uns beiden fahren. Aber die Berge lagen ja zum Glück hinter uns.

Im nächsten größeren Ort fuhren wir an einem Einkaufzentrum vorbei. Maren verschwand dort in einem Klamottenladen und ich wartete in der Passage. Bzw. ich wolle es. Denn kaum stand ich da, wurde ich vom Sicherheitspersonal rausgeschmissen. Draußen sollte es doch prima Fahrradständer geben. Ich war etwas sauer. Jeder dreckige Kinderwagen darf überall hin, aber die sauberen Rennräder, die ein halbes Vermögen kosten, sollten draußen unbewacht im Dreck stehen. Aber egal: In dem Laden gab es eh nichts.

Gleich nebenan war ein weiterer Laden und dort wurde Maren fündig. Sie kaufte 2 Oberteile. Eins in Pink und eins in Grau. Als sie wieder aus dem Laden kam, wollte sie mir das in Pink geben und ich griff ohne zu zögern zu. Ich hatte ja im Vorfeld eh gesagt, dass ich ab Tag 3 mit Marens Nagellack fahren werde. Aber schlussendlich war dann doch das Graue für mich. War aber trotzdem aus der Frauenabteilung. Ich fand es irre witzig, dass ich auf dem Zielfoto ein Frauenoberteil tragen würde.

Auch den Einkauf im Supermarkt erledigten wir gleich mit. Während Maren am Einkaufen war, checkte ich auf der Karte die größeren Ortschaften, die noch vor uns lagen. Ich war auf der Suche nach einem Restaurant, welches möglichst lange offen hatte. Wir wollten nämlich das verbleibende Tageslicht so gut wie möglich zum Radfahren nutzen. Ich fand in Roermond 2 Restaurants und einen Schnellimbiss, die jeweils bis 23 Uhr geöffnet hatten. Das sollte passen.

Als wir dann weiter fuhren hatte ich nur die verbleibenden Kilometer bis zum Essen im Sinn. Ich wollte unbedingt in eines der beiden Restaurants. Ich hatte die Befürchtung, dass sie zwar lange genug auf hatten, aber eventuell eine Stunde vorher Küchenschluss haben würden. Wir beeilten uns also. Die vor uns liegende Nachtfahrt hatte ich komplett ausgeblendet. Für mich war das Ziel Restaurant vergleichbar mit den Hotels an den Vortagen.

Wir erreichten Roermond pünktlich. Entschieden uns dann allerdings dafür, ganz wo anders zu essen. Der Laden sah, wie einer der vielen Döner Läden in Berlin aus. Es lief Fußball im TV. Maren ging als erstes in den Laden um zu fragen, wie lange sie auf hätten und ob wir unsere Akkus laden könnten. Dabei fiel ihr nicht ein, was Steckdose auf Englisch hieß. Also lief sie hinter den Tresen, um auf eine Steckdose zu zeigen. Von draußen sah es so aus, als ob sie dort ihr Essen selbst kochen wollte.

Wir konnten unsere Akkus laden und der Laden war auch noch lange genug geöffnet. Also blieben wir dort. Maren bestellte sich eine Pizza und ich entschied mich für Rippchen und einen Salat. Als ich dann mein Essen bekam war ich total begeistert. So gute Rippchen hatte ich noch nie. Im Nachhinein habe ich noch einmal bei Google Maps geschaut, wo wir dort eigentlich genau gewesen waren und dort in den Bewertungen gelesen, dass es dort die wohl besten Rippchen der Region gibt. Mittlerweile spiele ich auch mit dem Gedanken, ob man nicht mal von Berlin aus dort zum Rippchen essen hin radelt.

Während des Essens schrieb ich mit meiner Frau in einem Gruppenchat, den wir eigens für RATN angelegt hatten. Sie hatte auf der Trackingseite bereits entdeckt, wo wir aßen und wollte wissen, ob wir direkt im Hotel nebenan übernachten werden oder ob wir weiter fahren wollten. Ich teilte ihr mit, dass wir bis zum Ziel weiterfahren werden. Anschließend war im Gruppenchat die Hölle los. Alle unsere Freunde wünschten uns viel Glück und machten uns Mut. Einzig meine Frau hatte Angst, dass uns in der Nacht etwas passieren könnte. Ich versuchte sie so gut ich konnte zu beruhigen, was jedoch nicht so recht klappte. Es war aber auch nicht das erste Mal, dass ich in der Nacht Radfahren wollte.

Gegen 23 Uhr machten wir uns dann auf den Weg. Auf die letzten verbleibenden 160 Kilometer. Plötzlich hörte sich die Zahl auch nicht mehr so riesig an. Auch für Maren war nun alles okay.

Eine Nachtfahrt ist eigentlich immer etwas ganz besonderes, da man dies in der Regel nicht so häufig macht. Auch wenn man deutlich weniger Licht zur Verfügung hat, so kann man in der Nacht einiges entdecken. Am offensichtlichsten sind da natürlich die beleuchteten Städte. Vor allem die Sehenswürdigkeiten (Kirchen, Türme, Burgen, Schlösser) sind in der Nacht oft hübsch anzusehen. Zwischen den Ortschaften kann man den Sternenhimmel bewundern. Die Milchstraße, die vielen Sterne und natürlich auch den Mond. Und auch ohne Augen kann man in der Dunkelheit sehen. Zum Beispiel kann man Temperaturunterschiede fühlen, wenn man sich gerade in der Nähe eines Gewässers befindet. Städte sind dagegen immer etwas wärmer.

Nach etwa 30 Kilometern machten wir eine erste kleine Pause hinter einem Autohaus. Wir aßen und tranken etwas von unseren Sachen, die Maren im Supermarkt gekauft hatte. Wir veranstalteten quasi unser erstes Zimmerpicknick ohne Zimmer.

Meiner Frau schickte ich eine kurze Statusmeldung und bekam als Antwort einen Screenshot von der Tracking Seite zugeschickt. Darauf war zu sehen, dass Patrick nur wenige Meter weiter sein Nachtlager aufgeschlagen hatte. Wir konnten uns so gar nicht vorstellen bei den Temperaturen draußen zu schlafen.

Wir machen Pause, Patrick schläft

Ein weiterer Screenshot zeigte uns, dass sich etwa 10 Kilometer vor uns das Team befand, welches wir am Vortag nach dem Kabel gefragt hatten. Wir hatten irgendwie Lust sie einzuholen. Der Abstand war allerdings doch recht groß.

Als wir wieder weiter fuhren war uns beiden dann so richtig kalt. Es war noch viel unangenehmer als vor der Pause. Wir machten das einzig sinnvolle in der Situation. Wir fuhren einfach schneller. Da eh keine Autos mehr unterwegs waren ignorierten wir die Radwege. Dadurch wurde es dann schnell wärmer. Viel wärmer. Ich fand meinen Flow wieder. Ziel war es nun doch, das andere Team einzuholen.

Was wir allerdings nicht wussten war, dass die Position auf der Karte etwa 2 Stunden alt gewesen war. Sie zeigte die letzte bekannte Position des Teams, bevor ihr Tracker ausfiel. Sie hatten ja kein Kabel. Damit waren sie in Wirklichkeit etwa 50 Kilometer vor uns. Unmöglich einzuholen.

Wieder etwa 30 Kilometer später machten wir eine nächste Pause. Aßen erneut etwas. Und wieder war es nach der Pause bitterkalt. Ab dem Zeitpunkt wollten wir dann keine weiteren Pausen mehr machen, aber ohne ging es leider auch nicht. Wir waren einfach zu erschöpft um den Rest der Strecke durch zu fahren. Und außerdem musste das oben rein gefüllte Wasser auch wieder entsorgt werden. Wir mussten wohl oder übel ab und zu frieren.

Langsam machte sich zusätzlich auch die Müdigkeit breit. Sie wiederum sorgte für zusätzliche Kälte. Ein Teufelskreis. Die letzten Kilometer zum Ziel wollten einfach nicht weniger werden. Einziger Trost war, das es langsam wieder hell wurde und damit auch wieder wärmer. Wir machen eine letzte Pause. Auch wenn ich nicht sonderlich gut aussehe, ein wenig eitel bin ich dann doch. Ich zog meine Warnweste aus. Diese wollte ich auf keinn Fall auf dem Zielfoto haben. Da war es wieder mein Problem mit der Farbe Rot. Die gelbe Weste passte einfach nicht zum Rest.

Als ich dann das Ortsschild von Amerongen sehen konnte, tauchten auf meinen Schultern ein Engelchen und ein Teufelchen auf. Der Teufel fragte mich, ob ich mir jetzt nicht das Ortsschild holen sollte. Rafal hatte mir schließlich eingebläut, das die letzten Ortsschilder der Tour die wichtigsten seien. Der Engel erinnerte mich daran, dass wir eigentlich abgemacht hatten, gemeinsam und gleichzeitig in den Ort zu rollen. Und während ich mich mit dem Engelchen und Teufelchen unterhielt, passierte genau das, was man in jedem guten Film an der Stelle erwarten würde. Es überholte uns eine Oma mit ihrem E-Bike und holte sich das Ortsschild.

Kurz darauf erreichten wir das Ziel. Der Platz vor dem Cafe war total leer. Niemand war zu sehen. Als wir dichter kamen, sahen wir wie eine Person mit Fotoapparat vor die Tür kam. Ich fühlte mich leer. Konnte gar nicht verarbeiten, dass dies das Ziel unserer Tour sein sollte. Innerlich stellte ich mir den Platz vor einer Woche vor: all die Radfahrer, die Aufregung, das wilde Treiben. Alles war weg. Ich drehte noch 2 kleine einsame Runden auf dem Platz, stieg dann vom Rad und umarmte Maren. Wir hatten es geschafft.

Während dessen machte die Fotografin Fotos von uns. Sie bot uns ein Zielbier oder einen Kaffee an. Wir entschieden uns für das Bier. Anschließen saßen wir mit der Fotografin am Tisch und unterhielten uns. Naja Maren unterhielt sich. Ich war irgendwie immer noch damit beschäftigt meine Gedanken zu sortieren.

Nach und nach kamen andere Fahrer ins Cafe. Es waren die Fahrer, die in der Nacht das Ziel erreichten. Sie hatten sich wohl in dem Raum, in dem vor einer Woche das Büffet aufgebaut war, für ein paar Stunden ausgeruht. Sebastian war da und auch das Team, welches wir nach dem USB-Kabel gefragt hatten.

Als ich auf dem Weg zum WC war sprach Jack mich an: „Ihr ward am ersten Tag ganz schön schnell unterwegs. Habt aber auch sehr viele Pausen gemacht.“ Ich sagte ihm, dass wir die ganze Zeit so gefahren seien. Unser Ziel war es Spaß zu haben und ich denke, dass es uns ganz gut gelungen ist. Die Tour war toll. Direkt im Cafe war für mich klar, dass ich so etwas noch einmal machen möchte.

Wir buchten uns wieder ein Zimmer in dem Hotel, in dem wir bereits die Nacht vor dem Start verbracht hatten und fragten nach, ob wir auch gleich ins Zimmer könnten. Man versprach uns, dass dies ab 10 Uhr möglich sein sollte. Wir machten uns auf dem Weg. Kauften unterwegs noch einmal für ein letztes und zur Feier des Tages besonders üppiges Zimmerpicknick ein.

Im Hotel gab es dann die böse Überraschung. Der vorherige Gast hatte noch nicht ausgecheckt. Wir durften allerdings in eine Art Gemeinschaftsküche. Dort wollten wir essen. Maren packte erst einmal alles was sie eingekauft hatte auf den Tisch. Eine nette Dame vom Hotel brachte uns noch einen Wasserkocher und eine kleine Kaffeemaschine. Als sie den Berg Essen auf dem Tisch sah verdrehte sie die Augen.

Als ich ein klein wenig gegessen hatte, rief ich dann meine Frau an. Berichtete ihr, dass wir nun im Ziel seien und dass wir gleich schlafen gehen wollten. Während dessen aß Maren munter weiter. Mit jeder weiteren Frage meiner Frau wuchs meine Angst vom Essen nichts mehr ab zubekommen. Maren amüsierte sich darüber .

Dann konnten wir endlich ins Zimmer. Schnell duschen und dann nur noch schlafen. Am Abend gingen wir noch einmal zum Essen in ein Restaurant und danach direkt wieder schlafen.

Am nächsten Morgen fragte ich Maren wieder: „Und was machen wir heute?“ – Ihre Antwort war vorauszusehen. „Eine kleine Radtour!“ Also stiegen wir auf unsere Räder und radelten in Richtung Heimat.

Strava – Ich: https://www.strava.com/activities/2350699199

Strava – Maren: https://www.strava.com/activities/2350705936

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